Nolde-Museum

Nolde Stiftung Seebüll
Seebüll 31
25927 Neukirchen

Emil Nolde: Birma Tänzerin

 

Mit freundlicher Genehmigung: Nolde-Museum

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DEUTSCH/ENGLISH

Im Jahr 1913/14 unternahm Emil Nolde die größte Reise seines Lebens. Gemeinsam mit seiner Frau Ada reiste der Bauernsohn aus Norddeutschland ein ganzes Jahr lang durch die Welt, bis hin zu fernen Südseeinseln. Ein kurzer aber eindrucksvoller Aufenthalt wurde dem Künstler in Mandalay, einer Stadt im Zentrum Myanmars zuteil. Auf seiner stetigen Suche nach der absoluten Ursprünglichkeit wohnte er einer Tanzaufführung der besonderen Art bei. Rückblickend hielt er das Gesehene in seinen Lebenserinnerungen fest:
„Auf einem Platz unter Palmen tanzte während einer Nacht eine Tänzerin rassig und wild ihre wirbelnden, grotesken Tänze, bis sie zu einem nur wenig sichtbaren Häufchen zusammenbrach. (…) Die Tänzerin hatte mit steifer Seide fest aneinander geschnürte Füße, so daß nur der Oberkörper und die Arme beweglich tanzen konnten, aber das war sehr wild und oft ganz wundervoll. Das geschah im Freien bei flackerndem Fackellicht und von Pauken begleitet“
Dieser wild ekstatische Tanz faszinierte Nolde derart, dass er wenig später zum Schnitzmesser griff und die grazile Tänzerin aus einem Stück Brennholz heraus formte.
Noldes Beschreibung deutet auf einen speziellen Tanz zur Geisterbeschwörung hin, der in Myanmar feste Wurzeln hat und seit Jahrhunderten gepflegt wird. 37 mystische Geisterwesen, so genannte nats, bevölkern das Pantheon der Myanmarer und diese müssen bei Laune gehalten werden. In Tanzdarbietungen zu Ehren der nats wird der Körper des Tänzers zum Medium und laut Volksglauben durch alle 37 Geister nacheinander in Besitz genommen. Das Ergebnis ist eine wild rohe Darbietung, die vor Kraft und Ausdruck strotzt und nicht selten in einem ekstatischen Zustand der Tänzer endet. Nicht nur die gespannte Haltung der Figur „Birma Tänzerin“ weist auf diese Begebenheit hin, besonders auffällig sind die Augen der kleinen Tänzerin. Sie ist die einzige Figur aus Noldes Hand, die anstelle der geschnitzten Augen funkelnde Rubine trägt. Das sinnliche Lächeln ist nur aufgesetzt, dämonisch und undurchdringbar blickt sie auf ihre Betrachter und durch sie hindurch. Das tiefe Rot der Augen nimmt der Figur die Menschlichkeit, das grazile Mädchen wirkt losgelöst von allem Irdischen und in einer anderen Sphäre verweilend, ganz so als wäre sie tatsächlich von einem der nats beseelt. In dieser Entrücktheit biegt sie ihren Körper zu einer ästhetischen Schlangenform, mit stark gebeugten Knien und durchgedrücktem Rücken scheint es so, als erhebe sie sich gerade aus einer kauernden Stellung. Durch den eng geschlungenen Sarong sind die Beine verschnürt, Bewegungsspielraum bleibt nur dem Oberkörper, der ganze Ausdruck wird durch Mimik und Gestik geformt. Der von Nolde gewählte Moment der Darstellung zeigt wie die Tänzerin mit ihren Armen eine große Öffnung formt, eine mystische Form, fast wie ein Tor zu einer anderen Welt.
Die Liebe und Bewunderung Noldes für die Ureinwohner der von ihm bereisten Länder, spiegeln sich in dieser kleinen Schönheit wieder. Mit klaren Linien formt der Künstler das Wesen des Tanzes aus dem Material und steigert die exotische Ausstrahlung durch das bewusste setzen einiger weniger wirkungsvoller Details.

Text: Caroline Dieterich

 


In the years 1913/14 Emil Nolde made the greatest journey of his life. Together with his wife Ada, Nolde – the son of a farmer from northern Germany – travelled around the world for a whole year, going as far as the distant islands in the South Pacific. He experienced a brief but nonetheless impressive stay in Mandalay, a city at the center of Myanmar. Always seeking indigenous experiences, Nolde visited a very special dance performance which, in retrospect he described in his memoirs: “One night a dancer, wild and racy, performed her spinning, grotesque dances in a spot surrounded by palm trees until she collapsed into a barely visible heap. (…) The dancer’s feet had been tied together tightly with stiff silk, so that only her arms and torso could dance, but that was very wild and often rather wonderful. It all happened outside by the flickering light of torches, accompanied by drums.” This wild, ecstatic dance fascinated Nolde so much that soon he picked up his carving knife and began cutting the graceful dancer from a piece of firewood. Nolde’s description matches a special dance originating in Myanmar, used to evoke spirits. It is said that 37 mythical spirits, called nats, inhabit the pantheon of Myanmar, and that they must be appeased. Folk belief says that during the wild, raw looking dance performances honoring the nats, the dancer’s body will be possessed by all 37 spirits, often leaving the medium in a state of ecstasy. Not only the tense posture of the “Birma Dancer” express that state of trance, but also her eyes. She is the only statue by Nolde who doesn’t have carved eyes, but sparkling rubies instead. Her sensual smile is only a façade as she glares at her observers with that demonic and impenetrable gaze. The dark red of the eyes takes every bit of humanity out of the statue and leaves the graceful girl looking as though she really is possessed by one of the nats, existing on a completely different level than the rest of us. Thus enraptured she bends her body into the alluring shape of a snake, her knees bent and her back fully arched, looking as though she is rising from a cowering position. Her legs are bound with the tightly wound sarong, allowing only her upper body to move, putting all emphasis on the gesture of her arms and the expression on her face. The moment Nolde chose to depict has the girl forming a great opening with her arms – a mythical shape, almost like the gate leading to another world. The love and admiration Nolde had for the indigenous people of the countries he visited are reflected in this beauty. The artist utilized clear lines to create an image of the very essence of the dance and implemented a few very small details to accentuate the exotic aura of the statue.

 

Translated by Kathrin Astrid Behrends